Media-Liste: März 2022
 

„Sammlungen sind Antworten,
zu denen wir die Fragen finden müssen.“

Bernhard Maaz,
früherer Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister


Das steht auf einer Postkarte, die in meinem Flur hängt. Ich denke dabei immer an Jeopardy. Dann versuche ich mir Fragen zu meinen eigenen Sammelobjekten vorzustellen. Was ist das Lego Set 21316? Was ist Punkt 3 aus der 10 Dinge Liste vom Februar? Herr Maaz dachte offensichtlich nicht an Jeopardy. Solche Fragen führen zu nichts.

Ich erinnerte mich an eine Illustration, die ich vor einigen Jahren für einen Verein über die Erinnerungskultur erstellt habe. Dort fand ich die wohl wichtigste Frage zu jeder Sammlung: Warum nimmst du dieses Stück Vergangenheit mit in die Zukunft?

Eine mögliche Antwort darauf fand ich in Jason Kottkes Blog:

„Because I forget.“

Jason Kottke
im Blogbeitrag „Why“ vom 14. März 1998

Und ganz ähnlich in Liev Schreibers Verfilmung von Jonathan Safran Foers Roman „Alles ist erleuchtet“:

„Weil ich manchmal Angst habe, etwas zu vergessen.“

Jonathan Safran Foer (Elijah Wood) auf die Frage,
weshalb er alles in Zip-Lock-Beuteln sammelt

Eine Sammlung ist also eine Art Zeitkapseln für ein Gefühl, das man irgendwann wieder abrufen möchte. Aus diesem Grund schreibe ich Monat für Monat diese Liste oder meine 10 Dinge. Und aus dem selben Grund habe ich mir wohl auch nach Jahren wieder „Alles ist erleuchtet“ angesehen. Ich hatte Angst davor, dass ich unter all den zerstörischen Bildern aus der Ukraine, das Bild, an welches ich mich erinnern möchte, in diesem Krieg vergesse.

FILME UND SERIEN

Alles ist erleuchtet von Liev Schreiber
Obwohl ich mir den Film schon oft angesehen habe, konnte ich mich paradoxerweise nicht daran erinnern, wie sehr es darin ums Erinnern geht. Auch wie brillant das Character Design in diesem Zusammenhang ist, war mir vorher nicht aufgefallen. Die Figuren sind durch Accessoires so überzeichnet, dass man ganz klar erkennt, wer wie mit Erinnerungen umgeht. Der fiktive Jonathan Safran Foer blickt durch zentimeterdicke Brillengläser und verstaut in Zip-Lock-Beuteln alles, was ihm erinnerungswürdig erscheint. Der Großvater seines Guides Alex und Fahrer dieser Ahnenreise, gibt vor blind zu sein, verbirgt sich immer wieder hinter einer futuristischen Sonnenbrille, die alles abblendet, was rein will – oder nach außen dringen könnte.

„Alles ist erleuchtet im Licht der Vergangenheit. Sie ist in uns und sieht hinaus.“

Aus „Alles ist erleuchtet“

Proxima - Die Astronautin von Alice Winocour
Eigentlich wollte ich nur mal wieder einen Weltraumfilm schauen. Doch in dem Moment, wo es soweit gewesen wäre, blendet der Film ab. Nicht, weil die Raumfähre beim Start explodiert ist, sondern weil der Beginn der Reise, das Ende der Geschichte ist. Trotzdem hat sich dieser Weltraumfilm realer angefühlt als die meisten anderen. Sicher, weil die Bedingungen auf der Erde für einen Film über das Astronautin-Werden deutlich besser sind, als die Bedingungen für einen Film über das Astronautin-Sein. Vieles in „Proxima” wurde an Originalschauplätzen der esa gedreht.

Vielleicht aber auch, weil er gar kein Weltraumfilm sein möchte. Wie fühlt es sich an, als Mutter sein berufliches Streben nicht aufzugeben? Womöglich so wie als würde man sich zwischen Erde und Mars zerreißen müssen. Eben so wie als würde man Astronautin werden.

Actrices – Oder der Traum aus der Nacht davor von Valeria Bruni Tedeschi
Ich erinnere mich kaum an diesen Film, aber ich habe nicht das Gefühl, dass er deswegen schlecht war. Denn an schlechte Filme erinnere ich mich in der Regel ganz besonders gut. Woran ich mich erinnere, ist eine Frau auf einem Chaiselongue, die sich in den Rollen ihres Lebens ganz verloren fühlt, manchmal sogar unsichtbar wird. Vielleicht ist ja also mein Gefühl, genau das, was Frau Tedeschi mit ihrer autobiografischen Erfahrung über das Scheitern erzeugen wollte. Dieses Gefühl, wenn man selbst zur Lücke wird.

Annie Hall von Woody Allen
Würde man alle Szenen aus dem Film heraustrennen und an die Wand hängen, hätte man zwei Sammlungen.

Die erste Sammlung erzählte jeweils einen Moment aus Allys, Annies oder dem gemeinsamen Leben, was sie mal hatten. Annie, dargestellt von der großartigen Diane Keaton, hat sich nämlich von Ally getrennt und der versucht sich die Sache irgendwie begreiflich zu machen. Dafür sinniert er ungefähr so chronologisch durch sein Leben wie als würde man beim Lesen eines Wikipediaartikels keinen Querverweis auslassen. Ein Wort genügt, und plötzlich steht der Erwachsene Ally im Klassenzimmer mit seinen immer noch jungen Mitschülern von früher oder disktutiert als Cartoon Figur mit Disneys böser Königin.

Die zweite Sammlung zeigte, dass sich hinter fast allen Szenen und Szenenwechseln eigens dafür gewähltes filmische Stilmittel verbergen. Für mich ist „Annie Hall“ damit eines der unterhaltsamsten Film-Nachschlagwerke direkt nach Wallace & Gromit in „The Wrong Trousers“.

La Strada – Das Lied der Straße von Federico Fellini

„Er ist wie ein Hund. Hast du noch nie einen Hund gesehen? Er sieht dich an, wie als ob er mit dir sprechen möchte, auf einmal klefft er dich an.“

Il Matto zu Gelsomina über den Großen Zampano
in „La Strada“

„La Strada“ hat sich als Matroschka in meine Erinnerung eingenistet. Bei jedem Gedanken zu der Geschichte um Gelsomina, dem Großen Zampano und Il Matto, entdecke ich einen neuen. Es scheint mir unmöglich, auf den Punkt zu bringen, was ich sagen will. Also versuche ich, ihn mit einer Frage zusammenzufassen:

Wie soll sich die Welt an mich erinnern und was bin ich bereit dafür zu geben?

Für mich beantwortet Federico Fellinis Werk diese Frage in einer erzählerischen und visuellen Tiefe, die ungeheuer brutal ist und im gleichen Maße tröstet. Ohne Frage der beste Film in diesem Monat.

Bis 18.06.2022 in der arte Mediathek zu sehen.

Excuse Me, Miss, Miss, Miss von Sonny Calvento

„What if the impossible is the only way for all of us to have a work-life balance and have an improved living?“

Ma’am Charo in „Excuse Me, Miss, Miss, Miss“

Dass diese Aussage erschreckend gut auf das westliche Arbeitsmodell passt, beunruhigt mich. Denn eigentlich handelt die bittere Satire im Kurzfilmformat von philippinischen Leiharbeitern. Solchen wie Vangie, die in einem gähnend langweiligen Kaufhaus die Kunden stets mit einem kräftigen „Dying to Serve“ begrüßt. Dafür, dass sie zwischendurch auch mal „Dying to Sleep“ oder „Dying to Eat“ ist, kurz: menschlich ist, erhält sie von Ma’am Charo die Kündigung. Und wäre es das nicht gewesen, dann vielleicht das zu dünn aufgetragene Make-Up. Nach 6 Monaten muss ein philippinischer Leiharbeiter eine Festanstellung und bessere Arbeitnehmerleistungen erhalten. Um das zu umgehen, findet nicht nur Ma’am Charo einen Weg. Aber warum ist sie eigentlich selbst nie erschöpft?

Jetzt „Excuse Me, Miss, Miss, Miss“ auf thenewyorker.com anschauen.

BÜCHER UND MAGAZINE

Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden von
Christian Holler, Joachim Gaukel, Harald Lesch, Florian Lesch

Die kommunikative Kraft des Designs bei der Vermittlung komplexer Themen ist uns in diesem Projekt bewusst geworden.

Danksagung der Autoren des Buches
an die Fakultät Design der Hochschule München

Denn es sind die außergewöhnlichen Illustrationen und Infografiken der Illustratorin Charlotte Kelschenbach, die der Text immer wieder aufgreift und zum Interaktionsmedium macht, indem er sagt: „Schau dir die Fahrradfahrer an. Weißt du noch welcher für welche Energieform steht? Wer hat die Nase vorn?“ Eine so offensichtlich interdisziplinäre Arbeit wünschte man sich für jede seiner Illustrationen.

Die Fahrradfahrer sind eine weitere Besonderheit. Man nutzt sie um Energiemengen vorstellbar zu machen. Jeder der Radfahrer strampelt 10 Stunden am Tag, um eine Kilowattstunde zu erzeugen. Mit einem Durchschnittsverbrauch von 1.500 kWh beschäftigt ein Single-Haushalt also 1.500 Radfahrer. Ganz schön viel.

Kriegen wir genug Radfahrer aus den erneuerbaren Energien zusammen, um unseren aktuellen Energiemix wortwörtlich zu überholen? Ich war immer wieder überrascht, wie sich die Fahrer, auf die ich gesetzt habe, zumindest für Deutschland als “Luftpumpen” herausstellten. Eine sehr lohnenswerte Lektüre für jeden, der Strom bezieht.

Das Buch ist kostenlos für sächsische Bürger über die Landeszentrale für politische Bildung erhältlich und für alle Anderen seine 18 Euro locker wert.

Grafikmagazin (Ausgabe 4-2021)
Im letzten Monat habe ich schon die Ausgabe 5-2021 des Grafikmagazins in den höchsten Tönen gelobt. Würde ich nicht darauf spekulieren, mir dauerhaft die Ausgaben meiner Kollegin auszuleihen, wäre das Abo schon abgeschlossen. Was das Grafikmagazin in meinen Augen von novum und Page unterscheidet, ist das Fehlen von Schnickschnack und Branchengroßkotzerei. Keine Seite ist uninteressant oder nutzlos, kein Artikel macht den Eindruck nur eine Lücke füllen zu müssen. Alles ist fein reduziert. Davon profitiert der Themenumfang, die Artikellänge und die optische Lesbarkeit enorm. Selten empfand ich es als so angenehm und leicht, ein Magazin von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen.

Meine gefundenen Fragen:

  1. Wie würden sich die Arbeitsergebnisse öffentlicher Ausschreibungen für Designs und Illustrationen verändern, wenn die Entscheider begreifen würden, dass das wirtschaftlichste Angebot, nicht zwingend das billigste sein muss?

  2. Wie viel Klimaschutzeffekt gäbe es, wenn man das nachhaltige Gestalten schon mit der Dateigröße beginnt?

  3. Wie würde sich die Kommunikation in den Kommentarspalten ändern, wenn die Tastatur aus Plüsch wäre oder die Darstellung an einen runden Tisch erinnere?

GAMES

Tomb Raider (PS3)
Als ich auf diesen Artikel über den „Dark Souls“-Schöpfer Hidetaki Myazaki stieß, fühlte ich mich schon bei der Einleitung ertappt:

„A novel’s achievements can elude a careless reader. A film’s themes, or its plot, can be misconstrued by a lazy viewer. Only a video game, however, can punish an audience’s faults. If a player mistimes a jump, falls to an adversary, or fails to reach the end of a level, a game can deny them access to the rest of the work, halting progress until they pass the test or resign in defeat.

Genau das war nämlich der Grund, weshalb ich damit aufgehört hatte, Lara Croft meine Energie und Zeit zu leihen. Ich hatte keine Lust mehr darauf, ständig sterben zu müssen, um voranzukommen. Genau das ist aber auch der Grund, den ich selbst immer wieder anführe, wenn ich versuche, Eltern davon zu überzeugen, ihr Kind vor eine Konsole anstatt vor Netflix zu setzen.

Alles, was Herr Myazaki sagte, entsprach voll und ganz meiner Denkweise.

„I enjoy the process of solving problems that I know can be fixed,” he told me. “Impossible challenges? That’s where I draw the line, and where I feel stressed out.“

Seit ich 8 bin, ist dieses ständige Sterben ein bedeutender Teil meines Lebens. Ich bin mir sicher, dass Videospiele meinen Charakter und vor allem meinen Umgang mit Hindernissen maßgeblich geprägt haben. Ich verstand nicht, dass mich etwas so Banales wie ein 237. Versuch plötzlich wochenlang davon abhielt, es noch einmal zu versuchen. Also schaltete ich sie wieder ein und begann den 238. Versuch.

Ich glaube, beim 241. Versuch ging es für mich und Lara dann weiter. Ich schenkte ihr ein ganzes Wochenende, um das ganze Team sicher von der Insel zu bringen und erinnerte mich dabei daran, wieviele Wochenende ich während des Studiums so verbrachte, als ich Leben und Wohnung mit einer Spieleprogrammierin teilte.


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