Media-Liste: April 2022
 

Diese Reihe verändert sich von Ausgabe zu Ausgabe. Iteration: eine Sache wird so lang wiederholt, bis sie richtig erscheint. Ich spüre, wie ich mich meinem Ziel nähere. Ich will nicht nur Filme beschreiben. Ich will beschreiben, woran ich mich erinnern möchte, was und vor allem weshalb es mich fasziniert oder enttäuscht hat und ich will sammeln, was inspiriert. Deshalb artet das hier in seiner Länge manchmal ziemlich aus oder wirkt wirr. Schätze findet man nie an der Oberfläche.

Don’t close yourself off. Whether it’s a room of one’s own, or revisiting your memories of self at various stages in your growth, or buying yourself a collection of materials, or going on a hike and collecting natural artifacts, or listening to your favorite music orchestrated publicly or selected privately, or finding new favorites or new friends, or simply going to the gym, on a bike ride, a horseback ride or playing in the snow or on the beach — context is everything. Put it into play and into work.”

Lynda Benglis, 80, visual artist

FILME

E.T. von Steven Spielberg
Als hätte ich die letzten hundert Male als ich E.T. geschaut habe, ihn durch andere Augen gesehen, fiel mir E.T.s Raumschiff erst jetzt auf. Dabei ist es so besonders, fast schon knuddelig. Entworfen hat es Ralph McQuarrie, ohne dessen Konzeptzeichnungen vielleicht weder Star Wars noch E.T. ins Kino gekommen wäre. Seine Illustrationen waren nicht nur Designvorlagen, sondern zuallererst Pitch-Material. Genauso wie Carlo Rambaldis Entwurf des E.T. (und King Kong und Alien und...).

Doch Rambaldis Arbeit ging weit über die eines Concept Artists hinaus. Er war Special Effects Künstler zu einer Zeit, als das noch bedeutete, analog und mechanisch zu arbeiten. Er erschuf Puppen und Masken und ließ sie mit aufwändige Apparaturen zum Fürchten lebendig erscheinen. Viele der modernen CG-Wesen, wirken dagegen langweilig generiert - vor allem dann, wenn sie auch noch durch CG-Welten wandeln. Das Gehirn lässt sich nicht beeindrucken von billigen Tricks.

“Any kid with a computer can reproduce the special effects seen in today’s movies. The mystery's gone. The curiosity that viewers once felt when they saw special effects has disappeared. It's as if a magician had revealed all of his tricks... There’s no question that these computer films are well packaged but the charm has disappeared... If Spielberg were to film E.T. today using the latest technology I'm not sure it would be a hit because the techniques they’re using at the moment couldn't reproduce the tender expression of ET's eyes, for example. The secret of creating what technology is unable to express lies in the work of the artisan, who is able to develop characteristics that touch our deepest emotions.”

Carlo Rambaldi

Dass gerade Steven Spielbergs “Big Friendly Giant" dafür ein guter Beweis ist, verstört. Kaum ein anderer Regisseur ist sich selbst so bewusst über die Macht der Magie eines Bildes. Wenn ich ihn mir am Set vorstelle, muss ich dabei gleichzeitig an Roy Anderson denken, der so fröhlich besessen seine gemäldeartigen Einstellungen erarbeitet:

Ich kann mir gut vorstellen, mit welchem Spaß auch Steven Spielberg seine Szenen von Take zu Take in ihrer Wirkung zu steigern versucht. Iteration. Wie viele Takes brauchte es wohl dafür:

So viel Drama! / © Universal

Dieser Shot hat mich vollkommen umgehauen. So sehr, dass ich hektisch nach meinem Handy kramte und ein Foto davon machen musste:

Nur ein paar Szenen zuvor tappte das Licht der Taschenlampen einer Polizeieinheit auf der Suche nach E.T. im Dunkeln. Und nun steht der Außerirdische gemeinsam mit dem halbnackten Eliott mitten in dessen Kinderzimmer. Umzingelt von ausgeschalteten Lampen, das Licht ausgesperrt. Das beschreibt für mich den ganzen Film: auf der einen Seite Erwachsene, die sich übermächtig in ihrem scheinwerferartigen Tunnelblick fühlen und gleichzeitig genau deshalb so blind sind; auf der anderen Seite Kinder, die außerhalb dieses Lichtpegels leben und entdecken. Diese Botschaft taucht in zig Variationen mehrfach im Film auf. Erwachsene in Schutzanzügen, Erwachsene in Quarantänetunnel, Erwachsene auf Hüfthöhe.

Tove von Zaida Bergroth
In der Februar Liste, habe ich Rachel Carson zitiert, wie sie die erdrückende Last des kreativen Schaffens beschreibt. Daran musste ich denken als ich “Tove” sah, aber auch immer wieder an “Midnight in Paris” und: an mich selbst. Mit einem Wort ausgedrückt, ist der Film “Boheme” und damit für Künstler wie gemacht.

Er handelt von Tove Jansson, die als Illustratorin und Autorin zur Mutter der Mumins wurde.

Das Erste, was man sieht, ist Tove wie sie sich im Tanz wild dreht. Aber das wirkt nicht fröhlich, sondern eher wütend, als würde sie etwas aus sich heraus schleudern wollen. Zum Beispiel ein bisschen was von der Verunsicherung, die als Künstler ständig von innen und außen auf einen einwirkt. Und die Liebe.

“When you are young, the biggest distraction can be falling in love. Even if it’s going well, it’s full of turbulence. To be able to channel your feelings in a disciplined way helps.”

Artist Advice von Celia Paul, 62, painter

Der Tanz wiederholt sich immer wieder im Laufe des Films und drückt perfekt aus, wie ambivalent sich das Leben als kreativer Schöpfer oft anfühlt. Ein Gefühl als würde man ununterbrochen zwischen Hunger und Übersättigung versuchen die Balance zu finden - im übertragenen und wortwörtlichen Sinne.

Gut erzählt wird das, wenn in einer Szene die Axt in der Leinwand steckt und in einer anderen Tove Jansson ihrer Vermieterin statt der Mietschulden eines ihrer Gemälde in die Hände drückt und dieser zuversichtlich versichert, es sei in ein paar Jahren ein zigfaches der Miete wert.

Am Ende sind es dann aber doch die Mumins (und Kinderbuchillustrationen zum Hobbit und Alice im Wunderland), die ihr die Miete gezahlt haben, auch wenn die Unsicherheit über diesen Teil ihrer Arbeit (sie war auch bekannt für Karikaturen und Fresken) scheinbar nie ganz verschwunden ist, wie die Beschreibung dieses Videos vermuten lässt:

In August 1970, with my parents Lars and Annika Bäckström I visited Tove Jansson and her friend Tuulikki on their small rock island. The event starts in Helsinki. My father wrote an article in Dagens Nyheter in november -56, "being Moominminded". He got his first letter from Tove the same month in which she said she was "proud and happy" that he had taken her Moomin characters seriously. In february -57 she visited us in Uppsala after a lecture she held at a student society. The local newspaper showed up in our home and took a picture of Tove with me in her lap. Later she made cover illustrations for some of my father´s books. In -64 she sent him the manuscript for "Moominpappa at Sea" from which he published a piece in Ord&Bild for which he was the editor. He had printed one of the novels in "The Invisible Child" in -62 in the same magazine. "You cannot imagine how happy You made me with Your letter" she wrote in response to his enthusiasm over the Moominpappa at Sea. "No one has ever cared so sincerely about my books as You have" she comments what he had written in one of his own books. She sent him "Late in November" about which she felt unsure. "If You write a few words about what You thought You shouldn´t be afraid to be sincere". I was afraid it was too dark. After Your letter i look forward to start with the illustrations.

Translated as well as I managed from Lars´ book "Vänkritik".

Der für mich elektrisierendste Moment im Film geschieht dann, als ihre Mumins für Alle sichtbar werden. Der Moment, in dem ich nach Hause gehen wollte, um etwas Neues zu beginnen oder etwas Altes zu verändern. Aber da erlebt man eine Tove, - und man muss zwei mal hinsehen, um sich zu vergewissern, dass sie es auch wirklich ist - die es (zumindest für den Moment) geschafft hat, ihre Unsicherheit aus sich herauszuschleudern und ihre Liebe zu disziplinieren.

Schlümpfe von Raja Gosnell
Im Schlumpf-Film konnte ich zwar keine cinematografischen Highlights entdecken, aber dafür eine Aussage, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Als Papa Schlumpf erfährt, dass sein menschlicher Kumpel eine größere Wohnung für sich und seine Partnerin sucht, antwortet er erschrocken:

Aber dann seid ihr euch nicht mehr so nah.

Dieser Spruch geistert mir nun schon seit Wochen durch den Kopf, während ich selbst gerade die Kleinanzeigen nach einer kleineren Wohnung in einer kleineren Stadt durchforste, um an Nähe zu gewinnen.


BÜCHER

Wilde Schafsjagd von Haruki Murakami
Murakamis “Bäckereiüberfälle” waren mein erstes Buch von ihm. Ich bekam es von einem Kollegen geschenkt. Die Stimmung, die seine Art zu Erzählen auslöst, machte schneller süchtig als Nikotin. In einer kleinen Buchhandlung entdeckte ich schließlich “Wilde Schafsjagd”. Neben den anderen zu Verfügung stehenden Murakamis ein seitenmäßig überschaubares Werk. Also nahm ich es mit.

Ich war beruhigt, als sich herausstellte, dass die Stimmung sich fortsetzte. Murakami I und II fühlen sich gleich an. Wie ein wamer Sog, der einen allerdings nirgendwo hinzieht, sondern nur festhält. Als hätte man im Mahlstrom Anker geworfen.

Vielleicht ist das Herr Murakamis Grundbotschaft: Egal, was wir tun, es führt zu nichts - entweder weil wir es zu nichts führen oder weil Andere uns lenken. Diese Sinnlosigkeit der Existenz (und gleichzeitig die Handlung des Buches) beschreibt er so:

“Sie finden das Schaf, oder Sie finden es nicht. Ein Dazwischen gibt es nicht. Pech für Sie, aber wie ich eben schon sagte: Sie haben den Einsatz erhöht. Sie haben den Ball: Laufen Sie, tragen Sie ihn ins Tor. Auch wenn es das Tor gar nicht geben sollte.”

Ich verstehe die Erzählung als eine philosophische Systemkritik, verpackt in einem Detektivspiel, dass sich genauso unlösbar anfühlt wie der Anker in der Wand des Mahlstroms. Letzterer ist aber, wie erwähnt, angenehm warm.

Ich mochte es sehr, mit welcher persönlichen Nüchternheit und sprachlichen Schönheit der namenslose Ich-Erzähler die Machtlosigkeit gegenüber dem Scheitern und Verlieren ausdrückt.

“Nun da ich meine Arbeit los war, ging es mir besser. Mein Leben wurde immer simpler. Ich hatte meine Stadt verloren und meine Jugend; ich hatte meinen Freund verloren, ich hatte meine Frau verloren, und in knapp drei Monaten würde ich dreißig werden. Ade, ihr Zwanziger.”

Ein alles kontrollierendes System bezahlt ihn gut, kostet ihn aber gleichzeitig alles und bringt ihm nichts.

“Die Schafzucht in Japan schlug fehl, weil man sich bloß auf den Aspekt Selbstversorgung mit Wolle und Fleisch konzentrierte. Es mangelte an ganz alltäglichem Wissen. Man war nur am Ergebnis interessiert, wollte Gewinn herausschlagen, ohne Zeit zu investieren. Mit allem ging man so um.”

Mit allem:

Das Meer gibt es nicht mehr.

Die persönlichen Kontakte mit dem System stehen im krassen Gegensatz zu den menschlichen Momenten, denen der Ich-Erzähler in sich selbst und Anderen nachspürt. Die Ohren seiner Freundin, der rumrosinenfarbene Pavillion, Gingko-Blätter, die im Herbst wie gelbe Bäche aus Laub durch den Wald strömen und die Illusion die wir voneinander haben.

Körperzellen erneuern sich monatlich. Und deshalb, (…), ist fast alles, was du von mir zu wissen glaubst, nichts als Erinnerung.

Dieses Buch werde ich wieder und wieder lesen, bis ich auch wirklich alles entdeckt habe, was im Mahlstrom an mir vorbeiströmt.


Bambi von Felix Salten
Bis ich auf diesen Artikel im New Yorker stieß: Bambi Is Even Bleaker Than You Thought, hatte ich nicht in Betracht gezogen, dass Bambi einer Buchvorlage entstammt.

Ich entschied mich dazu, erst das Buch zu lesen und dann den Artikel. Im Gutenbergprojekt wurde ich fündig.

Felix Saltens Original ist der Walt Disney Verfilmung ungefähr so ähnlich wie ein Spanferkel dem Chicken Nugget. Das macht keines der beiden Werke schlecht. Ganz im Gegenteil. Ich kann gut verstehen, dass Walt Disneys “Chicken Nugget” auf herausquellende Eingeweide verzichtet (davon hatte ich zuletzt in der Buchvorlage zu Jurassic Park gelesen) und den Waldbrand als Inciting Moment erfinden musste.

Felix Saltens “Spanferkel” braucht keinen Waldbrand. Die Natur und der Mensch sind bedrohlich genug.

Letzterer wird von den Tieren nur als “Er” bezeichnet, von Felix Salten stets mit großem Anfangsbuchstaben in Szene gesetzt. In dieser Schreibweise wirkt er allmächtig. Für mich drückt sich diese Macht aber nicht darüber aus, dass er in den Wald geht und Tiere tötet.

Die wahre Macht des Menschen und die Gefahr, die von ihm ausgeht, liegt in der Manipulation (der Natur):

Da richtete der Fuchs sich auf, daß er ganz steil dasaß. Seine schöne spitze Schnauze senkte sich zur blutenden Brust, seine Augen hoben sich, und er blickte dem Hunde gerade ins Gesicht. Mit völlig veränderter Stimme, gefaßt, traurig und erbittert knurrte er: »Schämst du dich nicht . . .? Du Verräter!«

»Nein! Nein! Nein!« schrie der Hund.

Der Fuchs aber fuhr fort: »Du Überläufer . . .du Abtrünniger!« Sein zerrissener Leib straffte sich in Haß und Verachtung. »Du Scherge!« zischte er. »Du Elender . . . du spürst uns auf, wo Er uns nicht findet . . . du verfolgst uns, wo Er uns nicht einholen kann . . .du lieferst uns aus . . . uns, die wir alle deine Verwandten sind . . . mich, der ich beinahe dein Bruder bin . . . und du stehst da und schämst dich nicht?«

Selbst dann, wenn Er helfen möchte, wird Er zur Gefahr. Den verletzten Goro pflegt Er zwar gesund, aber nimmt ihm dadurch auch das, was er zurück im Wald am meisten braucht: seine Angst vor Ihm.

„Kannst du nicht allein sein.“ fragt der Fürst des Waldes zu Beginn der Geschichte den jungen Bambi, als er ängstlich nach seiner Mutter ruft. Allein scheint der einzige Ort zu sein, an dem zu überleben möglich ist. Die für mich wirklich mächtigste Frage im Buch, über die ich lang nachdenken musste. Ich dachte an Waldens Allein, an das moderne Allein, dann an das Allein in der Natur. Welches Allein meint Felix Salten?

Zwischen all den auch immer wieder erschreckend brutalen Szenen - in diesem Punkt ist Herr Salten ein wahrer Jack London - taucht ein Kapitel auf, welches eine ganz andere Perspektive einnimmt und einer Idee ähnelt, die ich im Inktober 2016 anfertigte: das Lebensende aus der Sicht eines Laubblattes.

inktober 2016 Illustration - Laub im Herbst verliert den Halt

GAMES

Rayman Origins (PS3)
Rayman Origins spiele ich seit über 10 Jahren mit den verschiedensten Menschen. Im letzten Monat auffällig oft. Ein klassisches Jump&Run-Adventure mit einem herausragendem Level-Design, das wirklich fordert. So sehr, dass man höhere Level schon ein paar dutzend Mal von vorn beginnen muss. Ich bin mir sicher, dass die Entwickler sich darüber bewusst waren. Aber warum geben sie mir dann alle fünf Versuche die Möglichkeit das Level zu verlassen, mit der Begründung, dass es womöglich zu schwer für mich ist? Dieses ewige Versuchen, Sterben, von Neuem beginnen - nochmal: Iteration - das ist es, was Videospiele ausmacht. Das Angebot aufzugeben, passt hingegegen überhaupt nicht zu Videospielen.


VORSCHAU

Ich lese gerade ein Sachbuch über Diktatoren, habe mir “Please, Touch The Artwork” auf Steam und eine neue Ausgabe des Grafikmagazins mit dem Titelthema “Illustration” gekauft. Außerdem bin ich gespannt auf “Memoria” mit Tilda Swinton und hoffe sehr, dass ich Gelegenheit dazu haben werde, ihn mir anzusehen.

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