Können Computer-Mäuse Gefühle übertragen?
 
Poster Illustration Linolschnitt Experiment Ähm / Ä-hm von Elisabeth Deim

Das schönste an einem Experiment ist, dass man mit jedem Ergebnis einen bis dahin noch völlig unerwarteten Weg einschlägt. Wie die Verästlung eines Baumes ist jedes Ergebnis nie das Ende, sondern nur der Ausgangspunkt für einen weiteren Versuch. Aus einer Idee werden auf diese Weise unzählige. Diese Illustration ist das Ergebnis eines Ergebnisses eines Ergebnisses.

Eigentlich hatte ich nämlich die Absicht, einer anderen Idee zu folgen. Fasziniert vom Linolschnitt und Linoldruck wollte ich an ihr erforschen, ob man die Optik, vor allem aber das Gefühl dieses Handwerks, in ein digitales Werkzeug wie Adobe Illustrator übertragen bekommt. Eine Herausforderung, die mir in den Kopf schoss, als ich mich mit der „Kreativmaschine“ der Gebrüder Poschauko befasste. In einer intensiven Selbstbeobachtungen, haben sie festgestellt, dass die Maus unter meiner Hand, meine Sinne von der Zeichenfläche auf dem Monitor entkoppelt. Ein Stift auf Papier hingegen ist aktiver Überträger von Reibung, Geräuschen, Bewegungen und selbst Gerüchen, und wirkt sich damit auf den Körper, dessen Haltung und Gefühl, aus.

Computers has robbed us of the feeling that we are actually making things. Instead we are just typing keys and clicking mouse buttons.“

Austin Kleon in „Steal Like An Artist“

Mit der Digitalisierung der Gestaltung ist ihr also die Sinnlichkeit wortwörtlich abhanden gekommen. Die „Kreativmaschine“ will das aufheben und Gestalten wieder zu einem sinnlichen Prozess machen. In ihrem rotierenden System sollen Computer, Kopf, Bauch und Hand sich ständig abwechselnd miteinander verbinden. Ich wollte aber probieren, wie viel Bauch und Hand man im Computer unterbringen kann und wie sich dieses Spielen anfühlt.

Für meinen digitalen Linolschnitt erschien mir etwas Typografisches als der sicherste Weg. Ein Buchstabe bietet mir kaum Raum, mich in Details zu verlieren und mich damit von meinem Experiment abzulenken. Ich will konzentriert bleiben, um vom Computer nicht fixiert zu werden. Gleichzeitig ist ein Buchstabe aus Gewohnheit reduziert und abstrahiert immer noch gut lesbar. Buchstaben sind für das Gehirn nur selten zu fremd. Es spricht also nichts gegen eine sehr grobe Arbeitsweise mit meinem digitalen Schnitzwerkzeug.

Ich fing damit an, die 6 Buchstaben zu "schnitzen", die ich für meine Idee vorgesehen hatte: o,d,a,b,e,r – eine kleine illustrierte typografische Poster-Serie über Worte, die sich mir in den Weg stellen.

Skizze zum digitalen Linolschnitt Experiment von Elisabeth Deim

Ideen-Scribble, was zur Basis des Experiments wurde

Ich ging bewusst schnell vor, arbeitete nur mit Schwarz und dem Weiß der Zeichenfläche, erlaubte mir grobe Klick-Schnitzer und verbot mir im gleichen Zug Korrekturen durch Ankerpunktgezerre, da das beim analogen Linolschnitt auch nur sehr bedingt möglich ist. Was weg ist, ist weg. Das eigentlich gar nichts weg geht, sondern ich im Gegensatz zum Schnitzen etwas hinzufügte, fiel mir lange gar nicht auf. Das unabdingbare Rückwärtsdenken, was beim Planen und Umsetzen eines Linolschnitts stattfindet, kam in meiner digitalen Methode also gar nicht vor.

Feinentwurf als Poster Illustration zum Thema oder / aber für das digitalen Linolschnitt Experiment von Elisabeth Deim

1. Ergebnis des digitalen Linolschnitts

Das Ergebnis hatte den Charakter der Entwürfe, die ich für meine Illustrationen anfertige; das gefiel mir schon mal gut. Auf der Gefühlsebene konnte ich beobachten, dass ich tatsächlich in Stimmung kam und zwischendurch immer wieder bewusst Kontakt zur realen Linolplatte aufnahm. Die üblichen Verstärker, Doping für die Sinne, wie Musik, Snacks und immer wieder mal den Körper aktivieren, unterstützten die Stimmungsbildung.

Nach diesen ersten digitalen Linolschnitten wollte ich nicht aufhören, hatte aber das Bedürfnis danach das Schnitzen natürlicher zu erleben. Ich legte das Ergebnis also erst einmal beiseite und entwickelte spontan einige Pinselspitzen, die Hohleisen und Geißfuß imitierten und auch genauso eingesetzt werden sollten, stechend, schabend, höhlend, nur eben per Mausklick. Vielleicht kann ja auch der Zeichenstift des Tablets das Gefühl, was durch den Griff des Beitels schießt, übertragen? Da ich jedoch nie mit dem Tablet arbeite, mir ist der Umgang damit noch unnatürlicher als meine Illustrationen mit der Maus zu erklicken, fehlte mir die Motivation, es direkt auszuprobieren. Hier kam ich also erst einmal nicht weiter, beschloss aber den Versuch ein anderes Mal durchzuführen.

2. Ergebnis: Fortführung zum geschnitzten Alphabet

Von meinen Buchstaben kam ich nicht so recht los, sie gefielen mir gut, also schnitzte ich Ankerpunkt für Ankerpunkte weiter, sparte mir dabei jedes Mal die Punze, das Loch in der Mitte von a, o, b, d und e, bis ich schließlich das ganze Alphabet samt Umlauten zusammen hatte. Völlig unsortiert aber als zusammenhängenden Block wie auf einer Linolschnittplatte hatte ich nun 23 Buchstaben mehr als geplant und fragte mich: wohin damit. Was kann der dritte Teil meiner Poster-Serie werden?

Übersicht zur Entstehung der Ergebnisse

„Aber“ und „oder“ stellen sich einem von Außen entgegen; da muss doch noch etwas sein, was meine Gedanken von innen blockiert und mich sprachlos macht. Was war das doch gleich, äh — hm.

Äh — hm!

Äh — hm schaltet die Ampel im Kopf auf Rot und gibt Zeit, den Gedanken zu sortieren. Äh — hm verstopft aber auch oft den Mund, der zum Flaschenhals wird, wenn ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, weil es mal wieder so viel zu erzählen gibt. Äh — hm bewahrt klug eingesetzt also vor Quatsch mit Sauce.

3. Ergebnis: Entstehung einer neuen Idee aus Ergebnis 2 (Alphabet)

Der Flaschenhals wurde zum Gestaltungsstichwort. Darin sollte sich mein nun aber h-loses „ä“ breit machen, darüber im Rechteckschädel mein Alphabet als Quatsch mit Sauce. Das Ergebnis gefiel mir auf Anhieb, vor allem wie dem „ä“ der Mund offen steht. Ich ergänzte noch ein paar Gesichtsmarker, um das Bild klarer zu machen und beschloss, dass damit die digitale Linolplatte für den Druck vorbereitet ist. Die nächsten Schritte, vermutete ich, sollten auf der Gefühlsebene am schwersten nachzuahmen sein: Farben auftragen, drucken, prüfen, wiederholen.

Erprobte Farbvarianten

Bei der Kolorierung wurde mir deutlich, was der digitale Prozess für einen Verlust mit sich bringt. Statt Farben zu mischen, und die dicke Paste mit der Walze auf die Linolplatte aufzutragen, schob ich die Regler quer über den Regenbogen bis ich ein Ergebnis „druckte“, das mich begeistert. Ich drückte keine Linoldruckfarbe aus der Tube, roch sie nicht, sah sie nicht glänzen, hatte kein Gefühl für ihre Konsistenz. Und trotzdem ist dieser Arbeitsschritt bei jeder Illustration, die ich anfertige, der, der mich am meisten bewegt und in sich aufsaugt. Die Sinnlichkeit spielt sich hierbei also scheinbar vorrangig in den Augen ab, und die sind beim digitalen Gestalten nicht weniger aktiv als wie beim analogen.

Formveränderung des Kopfes und Umsortierung des Alphabets

Hier erlaubte ich mir nun auch zum ersten Mal, die Korrekturmöglichkeiten des Computers einzusetzen. Der Schädel erinnerte noch zu sehr an eine Glühbirne, sollte ja aber eine Flasche sein. Beim handgemachten Linolschnitt hätte ich nun eine neue Linolplatte genommen und den Kopf noch einmal geschnitzt, digital wäre das in Windeseile erledigt gewesen, aber ich entschied mich dazu, nun doch einfach an den Controllern der Ankerpunkte zu ziehen, bis die Glühbirne zur Ketchupflasche wurde und fügte ihr per Filter noch einige Kanten hinzu. Die Buchstaben rückte ich näher zusammen und sortierte sie um, damit sich hinter dem ä-Gesicht, das „hm“ ebenfalls in Rot staut.

Feinentwurf als Poster Illustration zum Thema "Ähm" für das digitale Linolschnittexperiment von Elisabeth Deim

Was ich durch die Augen aufnahm gefiel mir gut, nur lagen die Farben viel zu flach auf dem Hintergrund, ein handgemachter Druck war nicht zu spüren. Sehen war das eine, fühlen etwas vollkommen anderes.

„Art is giving form and color to feelings.“

Abdul Rahim Sharif, Künstler

Ein „digitaler Druck“ ist immer perfekt. Jedes Pixel ist gleichmäßig mit Farbe gefüllt und ohne jeden Makel. Es bleibt keine Farbe an der Druckform hängen, man kann nicht an einer Ecke zu wenig pressen oder an einer anderen zu viel und dadurch von schönen Imperfektionen beim Abziehen des Blattes von der Druckplatte überrascht werden. Zufälle ausgelöst durch ein unberechenbares Zusammenspiel von Körper- und Materialeinsatz finden beim digitalen Arbeiten nicht statt. Ich muss die Farbe im Nachhinein wieder vom Bild abziehen, indem ich ein digitales Löschpapier darüber lege. Hier kommt mir der Verlust an Sinnlichkeit nun am größten vor.

Jetzt musste ich 100% Hand mit 100% Computer parallel laufen lassen, um meinem Linoldruck ein Gefühl zu geben. Aus meiner Sammlung von digitalisierten handgemachten Texturen platzierte ich etliche in der Illustration, bis ich schließlich das passende Löschpapier fand. Dazu erspielte ich mir noch einen Klecks, der gut zu dem Quatsch mit Sauce passt, den mein ä—hm versucht zu vermeiden. Einige Imperfektionen schnitzte ich noch hinzu, die verraten sollen, dass die „Druckform“ des Schädels bereits die Aussparung für das „ä“ enthielt.

Vorschau der texturierten Illustration in Adobe Illustrator

Technisch war nun alles richtig, aber die Vorschau überzeugte mich noch immer nicht. Sie sah künstlich aus durch das Anti-Aliasing im Bild und die nur in niedriger Qualität geladenen Texturen. Eine grundlegende Veränderung konnte ich mir in diesem Moment nicht vorstellen und resignierte ein wenig, da mir die Fähigkeiten des Computers erschöpft vorkamen.

Als ich dann aber Strg + Alt + Shift + S drückte, um mir die Vorschau des JPGs anzeigen zu lassen, die digitale Variante vom Lösen des Papiers von der Druckplatte, hatte ich diesen überraschenden Moment, den handwerkliches Drucken erzeugt, dann aber doch noch. Mein Monitor zeigte mir unerwartet einen wunderschönen von Imperfektionen durchzogenen Linoldruck an, der auch mir den Mund glücklich offen stehen ließ.

Links: Vorschau in Adobe Illustrator, Rechts: Fein gerendertes Bild

In Adobe Illustrator kann also sehr wohl ein kleines Linolschnittgefühl aufkommen und viel Bauch und Hand untergebracht werden. Dieses Gefühl geht nicht durch den ganzen Körper, strengt ihn in keinster Weise an und der sinnliche Tiefgang bleibt knietief, aber: es war ein schöner Prozess, denn es war ein bewusster Prozess. Ich stellte mir immer wieder die Frage, was ich jetzt mit meinem Werkzeug in der Hand machen würde, wie die Kante aussähe, untersuchte alte Linolschnitte dafür, roch das Linoleum. Ich ließ also auch immer wieder die Maus los, um mit meinen Sinnen das Ziel zu erspüren. Das veränderte das Gefühl zur Arbeit an der Idee vollkommen und ist eine Praxis, die ich in unvermeidbar digitale Projekte übernehmen werde: immer wieder bewusst Kontakt zum realen Ziel suchen.

Unterschätzt habe ich, wie schnell man als Computerarbeiter wieder in die Fixierung dieser Maschine geraten kann oder sich aus Gewohnheit in ihr bequeme Methoden sucht. Im Ergebnis fehlt mir zudem die Tiefe. Die Farben sind immer noch zu offensichtlich flach auf dem Papier abgelegt und nicht darin eingezogen. Mit hohem digitalen Aufwand ist auch das sicher nachzubilden. Aber das Gefühl, was die Farbe zwischen Blatt Papier und Linolschnitt beim Abziehen über meine Hände in meinen Körper überträgt, ist nicht nachzubilden.

Bei weiteren Experimenten, werde ich also Teile der Idee außerhalb des Computers entstehen lassen und per Scanner ins Bild bringen, um die Verbindung zwischen Idee und Körper intensiver zu spüren und nicht zu verlieren, in der realen Welt zu arbeiten und um handgemachte zufällige Strukturen direkt abzubilden, anstatt sie später mit platzierten Texturen zu imitieren. Ich habe das schon einmal getan, als ich um ein Rachel Carson Zitat zu illustrieren, Daumenabdrücke von mir selbst nahm. Ich erinnere mich noch genau an diesen Prozess, aber kaum an meine Klicks.

Der große Vorteil dieser Klicks, die ich mit dem von den Gebrüdern Poschauko genannten „Spezialwerkzeug Computer“ mache, ist die Möglichkeit, verschiedenste Ideen an einer Idee auszuprobieren und sie ohne großen Aufwand wieder rückgängig machen zu können, wenn sie sich zum “Fehler” entwickeln. Und so klickte ich einen Tag nach geglaubten Abschluss des Experiments den Klecks doch wieder aus dem Bild. Er lenkte ab von der Idee und machte die Sprachlosigkeit so laut, dass man sie mit ihrem „ä — hm“ nicht mehr wahrnahm, weder visuell noch als Gefühl. Meine Augen blieben im Klecks hängen und versuchten die Buchstaben dahinter zu entschlüsseln. Selbst ich schaffte es also nur mit Mühe runter zum „ä“. Ich war im Prozess wohl zu fasziniert davon, was für einen schönen Klecks mein Computer da gemacht hat, das ich dabei ganz vergessen hatte, worum es mir eigentlich geht.

Poster Illustration Ähm Thema Sprachlos von Elisabeth Deim

1:0 für Poschaukos Kreativmaschine, ein Buch, das mehr als nur eine Empfehlung wert ist und in den Kopf jedes Gestalters gehört, da es sich von dort auf eine ganz beeindruckende Weise im ganzen Körper ausbreitet und dabei hilft, den eigenen Gestaltungsprozess wieder sinnlich zu erleben. Benutzt eure Hände, geht weg vom Bildschirm, spielt und kommt dann zurück! Computer-Mäuse können nicht genug Gefühle übertragen.

„The computer is really good for editing your ideas (…) but it’s not really good for generating ideas. There are too many opportunities to hit the delete key (…) – we start editing ideas before we have them.“

Austin Kleon in „Steal Like An Artist“

Darüber lesen und lernen:

„NEA MACHINA. Die Kreativmaschine. Next Edition.“ von Thomas und Martin Poschauko, erschienen im verlag hermann schmidt, 2018


Neue Beiträge direkt ins Postfach

Ich respektiere Ihre Privatssphäre und verwende Ihre Mailadresse zu keinem anderen Zweck. Möchten Sie zusätzlich über meine neusten Arbeiten und Projekte informiert werden, nutzen Sie dafür bitte den Button im Fußbereich.