Die Entdeckung der Farben - Auf Reisen mit dem Color Chord Wheel

 
Demonstration der sechs gängigsten Farbschemata (Color Schemes) / Illustration: Elisabeth Deim

Es kommt nicht selten vor, dass Zweifel in mir aufsteigen, während ich an meinen Ilustrationen arbeite. Grobe Skizzen haben von Natur aus Charakter und sehen allein dadurch schon gut aus. Im nächsten Schritt wandelt sich das Bild jedoch. In Adobe Illustrator beerdige ich meine Skizzen unter einem Haufen gleichförmiger Konturen, welche mehr wie ein Gerüst als eine Vorzeichnung aussehen. Jegliche Dynamik scheint in Luft aufgelöst. Der Fluch der Digitalisierung.

Bis zu einem gewissen Punkt ertrage ich diesen zugegebenermaßen sehr langweiligen Arbeitsschritt. Dann will ich aber wirklich wissen, ob meine Zweifel begründet sind. Ich überspringe die Details in der Skizze und ziehe es vor, mit monochromen Flächen zu erproben, was getan werden muss, um dieses Konstrukt in etwas Lebendiges zu verwandeln. Keine 50 Shades of Grey, sondern nur fünf sowie Schwarz und Weiß reichen aus, um die Dynamik zurück an Bord zu holen und sich mit ihr gemeinsam auf das größte Abenteuer bei der Entstehung einer Illustration vorzubereiten: Die Entdeckung der Farben.

Kein Arbeitsschritt ist für mich so aufregend und in keinen tauche ich tiefer ein wie in die Auswahl der Farben für eine Illustration. All der Zauber, der bisher nur in Gedanken existiert hat, wird nun dieser leblosen Konstruktion injiziert und erweckt sie zum Leben. Das unstrukturierte Kontur-Mikado verwandelt sich in eine Harmonie aus farbigen Flächen. Zumindest dann, wenn man ein paar Regeln beachtet.

Wie auch in der Musik nicht alle Noten miteinander einen Gleichklang erzeugen, gibt es auch Farbpaletten, mit welchen man dem Auge des Betrachters keinen Gefallen tut. Er wird schnell bemerken, dass da etwas nicht stimmt, sich ein schiefer Ton eingeschlichen hat. Um diese schiefen Töne zu vermeiden, nutzen Musiker Akkorde. Und Illustratoren nutzen sie auch.

Ein Akkord in Rot-Blau-Grün

Wird eine Farbkombination als angenehm harmonisch empfunden, spricht man von einem Farbakkord. Laut Milliard Sheets (1907–1989), Künstler und Lehrer am Chouinnard Art Institute, ist eine Illustration oder ein Gemälde ohne Farbakkord komplett wertlos, da der Reiz ohne die Magie eines Farbakkords schnell verloren gehen wird

Eine solche Farbkombination kann man auf unzählige Arten und Weisen entdecken. Man kann sie aus anderen Werken klauen, sich von der Natur inspirieren lassen, Sammlungen durchsuchen oder aber auch die klassische Farbenlehre als Kompass für die Entdeckung der Farben nutzen.

Die Farbenlehre geht davon aus, dass bestimmte Stellungen der Farben im Farbkreis, sogenannte Farbschemata, einen visuellen Gleichklang erzeugen. Unterschieden wird in Zweiklänge (zwei sich gegenüberliegende Farben), Dreiklänge (im Dreieck zueinander stehende Farben) und Vierklänge (im Quadrat oder Rechteck zueinander stehende Farben).

Balance ist alles

Diese zwei, drei, vier Farben bilden die Basis. So wie bei einem Instrument, nur eine gute Technik zu einem angenehmen Klang führt, muss diese Basis jedoch noch gut ausbalanciert werden, um als Farbakkord eine Illustration beleben zu können.

Ein paar einfache Regeln helfen dabei, eine Farbauswahl in einen Farbakkord zu verwandeln:

  1. Es dominiert stets nur eine Farbe oder ein analoges Set an Farben.

  2. Die übrigen Farben sowie neutrale Farben (Schwarz, Weiß, Grau, Gold, Silber) werden für Akzente genutzt.

  3. Durch unterschiedliche Schattierungen (Mischen mit Schwarz), Tönungen (Mischen mit Weiß) und Töne (Mischen mit Grau) werden die Farben untereinander ausbalanciert.

  4. Kräftigen Farben stehen blasse Farben gegenüber.

  5. Sollen Figuren oder bestimmte Objekte in einer Illustration besonders hervorstechen, muss zunächst dafür eine Farbpalette bestimmt werden. Erst danach wird über die Farben der Umgebung entschieden.

Übersicht zu den gängigsten Farbschemata

Zur Demonstration der bekanntesten Farbschemata habe ich mich auf den RYB-Farbkreis (Itten, subtraktive Farbmischung) konzentriert. Experimente mit dem CMYK-Farbkreis (additive Farbmischung) sind jedoch ebenso möglich und mindestens genauso lohnenswert.

Demonstration Komplementäres Farbschema (Complementary Color Scheme) - Elisabeth Deim

Komplementäres Farbschema (Complementary Color Scheme)
Komplementärfarben sind Farben, welche sich im Farbkreis gegenüberliegen. Soll in einer Illustration mit wenigen Elementen nur eine Sache deutlich hervorgeheben werden, ist dieses Schema die beste Lösung.

Demonstration Analoges Farbschema (Analogous Color Scheme) - Elisabeth Deim

Analoges Farbschema (Analogous Color Scheme)
Drei Farben, welche im Farbkreis nebeneinander liegen, bilden das analoge Farbschema. Da die Farben sich in der Regel stark ähneln, sollte man eine der drei Farben als Akzentfarbe nutzen. Die übrigen beiden Farben werden durch Mischung ausbalanciert und arbeiten dann gemeinsam als Dominanz.

Demonstration Triadisches Farbschema (Triadic Color Scheme) - Elisabeth Deim

Triadisches Farbschema (Triadic Color Scheme)
Beim triadische Farbschema liegen die Farben an den Eckpunkten eines gleichseitigen Dreiecks und sind gleichmäßig rund um den Farbkreis verteilt. Nur eine gute Balance sorgt dafür, dass es nicht zu wild wirkt.

Demonstration Teilkomplementäres Farbschema (Split-Complementary Color Scheme) - Elisabeth Deim

Teilkomplementäres Farbschema (Split-Complementary Color Scheme)
Als teilkomplementär beschreibt man eine Mischung aus analogem und komplementärem Farbschema. Das analoge Farbschema bildet die Basis, welcher eine komplementäre Farbe gegenüber gestellt wird. Ein Schema, welches einfach zu handhaben ist und schnell zu einem beeindruckenden Ergebnis führt.

Demonstration Rechteckiges Farbschema (Rectangle Color Scheme) - Elisabeth Deim

Rechteckiges Farbschema (Rectangle Color Scheme)
Das rechteckige Farbschema ist im Grunde genommen ein Doppel-Komplementär Farbschema. Um eine Harmonie zu erzeugen, sollte eine Farbe oder ein analoges Set an Farben im Vordergrund stehen, während die übrigen Farben die Akzente dazu bilden.

Demonstration Quadratisches Farbschema (Square Color Scheme) - Elisabeth Deim

Quadratisches Farbschema (Square Color Scheme)
Die vier Farben in diesem Schema sind wie im triadischen Farbschema gleichmäßig über den gesamten Farbkreis verteilt. Das macht die Nutzung etwas komplizierter im Vergleich zum rechteckigen Farbschema. Umso wichtiger ist es, mit Farbton, Farbtönung und Schattierung, einer Farbe die Dominanz zu zuordnen und mit den übrigen Tönen lediglich Akzente zu setzen.

Bereit für die Entdeckung der Farben?

Ich habe ein kleines Gadget entwickelt, welches wie ein Kompass durch den Farbkreis führt.

Mein Color Chord Wheel ist als PDF-Bastelbogen auf Gumroad erhältlich. Einfach ausdrucken, ausschneiden, zusammensetzen und schon kann die Reise losgehen.

Lektüre-Tipp zum Thema

“The Noble Approach. Maurice Noble and The Zen of Animation Design” von Tod Polson, erschienen bei Chronicle Books, 2013

Ein wundervolles Buch, welches das Wissen und die Arbeitsweise (nicht nur im Bezug auf Farben) eines wahren Meisters der Farbakkorde teilt.


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